In einer Welt, in der technische Prozesse immer dominanter werden, stehen wir vor einer zentralen Frage: Wer übernimmt Verantwortung? Ein Beispiel aus dem Alltag verdeutlicht dies: Der Filialleiter eines Cafés reagiert wegen einer Kleinigkeit knausrig. Eine Beschwerde an den Vorgesetzten scheint naheliegend. Doch was geschieht, sollte der Filialleiter sich als «Chef» bezeichnen und keinen weiteren Ansprechpartner ernennen als die KI? Ist so nicht jeder Vorgesetzte für sich sozusagen abgeschirmt? Und weshalb? So ist ein Kunde schliesslich chancenlos, seine negative Ansicht über den Service, sein Erlebtes, geht unter.
Dieses Szenario zeigt, auf welche Art Verantwortung verschoben werden kann. Und anhand Erfahrungsberichten geschieht dieses oder ähnliches Szenarium relativ oft. Die menschlichen Ebenen der Kommunikation gehen hierbei verloren. Der Kunde bleibt allein mit seinem Anliegen. In Charlie Chaplins Film Modern Times kontrollierten Maschinen Menschen, wodurch sich ihre Arbeitsschritte zwar optimierten aber auch entmenschlichten. Heute tun das, traditionell betrachtet, nicht mehr Maschinen, sondern zunehmend und schleichend Algorithmen. Denn Algorithmen können ähnliche Aufgaben wie in Chaplins Film übernehmen. Vor allem deren Effekt bleibt derselbe: Zunehmend werden zwischenmenschliche Kontakte durch technische Prozesse ersetzt.
Algorithmen und der Verlust des Ermessensspielraums
In der modernen Arbeitswelt entscheiden Algorithmen darüber, was einst die Aufgabe von Menschen war. Die Programme folgen strikten Regeln und bieten keinen Raum für Ermessensspielräume oder Ausnahmen. Kunden werden allmählich und daher «unmerklich» darauf vorbereitet, diese Prozesse zu akzeptieren, in etwa so, wie sich Arbeiter in Chaplins Film den Maschinen unterordnen mussten.
Bei wichtigen Herausforderungen wird zu wenig mit einem anderen Menschen kommuniziert, da hier allzu oft ein Computer die entsprechenden Lösungen vorgibt und teilweise sogar bestimmt; beziehungsweise entstehen dabei bestenfalls verhältnismässig wenige Lösungsvorschläge, woraus der Mensch wählen kann. Die Gewohnheit, sowohl selbstständig als auch über den Tellerrand hinaus zu denken, kann so unmerklich und allmählich verloren gehen. Ein Vorankommen mittels menschlichen Entscheidern wird dadurch zunehmend verhindert, (beispielsweise das Angeben einer persönlichen E-Mail).
Auch die durch moderne Technologien generierte Effizienzsteigerung hat ihren Preis, wenn wir nicht aufpassen, andernfalls: Menschlichkeit, Kreativität, die ihre eigene Zeit erfordert und menschlich-individuelle Lernprozesse werden vermehrt als ineffizient betrachtet. Immer seltener werden diese erwünscht sein oder angeboten werden. Doch was bedeutet das für die Gesellschaft?
Wer profitiert schon heute von dieser Rationalisierung?
Ein essenzieller Gesichtspunkt ist die Frage, wer von der fortschreitenden Rationalisierung finanziell profitiert. Sind es die Kunden, die dadurch preisliche Vorteile genießen? Ein Grossteil der Mitarbeitenden, die dank entlastender Technologien weniger negativen Stress erleben? Oder sind es die Aktionäre mit höheren Dividenden, beziehungsweise große Tech-Unternehmen mit rentablen Geschäftsmodellen?
Die Antwort liegt oft in der ungleichen Verteilung. Während der Kunde geringere Vorteile wahrnimmt – sofern er dies durch «Shifting baselines» noch wahrnehmen kann – landen die hohen Gewinne bei jenen Unternehmen, die die Technologien entwickeln und einsetzen. Aber auch Mitarbeiter könnten sich in einer zunehmend automatisierten Arbeitswelt bedroht fühlen.
Menschlichkeit im digitalen Zeitalter
Hinsichtlich dieser Entwicklung stellt sich eine grundlegende Frage: Was bedeutet Menschlichkeit in einer Zeit, in der Algorithmen über Bereiche unseres Lebens bestimmen? Denn in unserem Dasein geht es natürlich nicht nur um Effizienz, sondern auch um das Gefühl, gehört und verstanden zu werden und anderen Lebewesen zugehörig zu sein. Ein Computer vermag Probleme zu lösen, aber ein Mensch kann dabei echte Empathie zeigen.
Nun liegt es an uns, eine gesunde Balance zwischen Fortschritt und Menschlichkeit zu wahren. Denn sollten wir uns ausschließlich oder weitgehendst Algorithmen unterwerfen, verlieren wir jene unverzichtbare Essenz für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft: das Zwischenmenschliche. Und wie bereits Charlie Chaplins Film Modern Times darauf aufmerksam machte – Maschinen sollten niemals Kontrolle über Menschen übernehmen. Vielmehr sollten sie Werkzeuge ausmachen, die uns das Leben erleichtern, ohne uns auch nur ein Stück unserer Menschlichkeit zu berauben.
In der heutigen politischen Diskussion sind solche Themen unerlässlich. Doch das Zepter in der Hand haben besonders Techfirmen. Uns obliegt es, die KI politisch mitzugestalten, anstatt das Primat der Wirtschaft zu überlassen.
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